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Don’t buy a problem – wie wir durch komplexe Technik Müll erzeugen, Geld verbrennen und uns das Leben schwer machen

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Die in Chemnitz erscheinende Tageszeitung „Freie Presse“ berichtete vor kurzem über den Einsatz von interaktiven Tafeln – Smartboards – an Chemnitzer Schulen. Im Rahmen des „Digitalpakts Schule“ wurde die Stadt vom Bund mit 12,5 Millionen Euro unterstützt, um in den Schulen ein flächendeckendes W-Lan einzusetzen sowie digitale Endgeräte und Anzeigesysteme anzuschaffen. „Mittlerweile sind ca. 13.000 mobile Endgeräte und ca. 2.000 digitale Anzeigesysteme in den Schulen im Einsatz“, so die Pressestelle der Stadt in einer Pressemitteilung vom 16.12.2024. Innerhalb von 6 Jahren erhöhte sich die vom zentralen Schulrechenzentrum zu betreuende Gerätanzahl von 8.500 auf 25.000.

Smartboards müssen aller 5 bis 6 Jahre ausgetauscht werden

Doch es zeigt sich auch – so berichtet die Freie Presse -, dass die Boards nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Nach Einschätzung des Schulamts müssten sie alle 5 bis 6 Jahre ausgetauscht werden. Die Kosten dafür belaufen sich pro Jahr auf ca. 3 Millionen Euro. 3 Millionen Euro für 333 Smartboards! Geld, das Chemnitz nicht unbedingt übrig hat, weshalb zum Glück der „Digitalpakt Schule 2.0“ einspringt.

Alle 5 bis 6 Jahre werden also 2.000 Smartboards ausgetauscht: Was das genau heißt, ist nicht ganz klar. Die Pressestelle der Stadt Chemnitz teilte mir auf Anfrage mit, dass ein Smartboard prinzipiell so lange in Gebrauch sein kann, wie herstellerseitig die Software unterstützt wird. Ausschlaggebend seien Sicherheitsupdates, um ein „Betreiben nach BSI-Grundschutz“ zu ermöglichen. Und weiter: „Solange die softwareseitige Herstellerunterstützung gegeben ist, werden vor Neuanschaffungen auch Überholungen durchgeführt und Weiternutzungen angestrebt, wenn diese Varianten sich wirtschaftlich gestalten.“ Abschließende Erfahrungen mit der Haltbarkeit der Boards konnten in diesem ersten Durchlauf des Digitalpakts aber noch nicht gemacht werden, so die Pressestelle.

Keine Smartboards, aber Werbedisplays: Bahnhof Hamburg-Altona. Bild: Susan Rößner.

Müll, Ressourcen, Geld, Aufwand

Im besten Falle also werden Smartboards tatsächlich wiederverwendet und überholt – was dennoch Kosten und Aufwand bedeutet –, im schlechtesten Fall aber werden sie weggeworfen und neu gekauft. Bei einem angenommenen Gewicht von 15 Kilogramm pro Board wären das nicht nur 30 metrische Tonnen (30.000 Kilogramm) Abfall, sondern natürlich auch eine wahnsinnige Verschwendung von Metallen, seltenen Erden und Kunststoff. Von der Energie, die in Herstellung, Transport und Entsorgung fließt, einmal ganz zu schweigen.

Die Abfallproblematik ist aber nicht das Einzige:

  • Dieser Maschinenpark muss in Chemnitz von 12 Menschen gepflegt und verwaltet werden. Das schafft Arbeitsplätze, na klar – kostet eben aber auch Geld.
  • Zum Betrieb der Boards benötigt man nicht nur besondere Stifte (think: Müll, Ressourcen, Geld) und einen Computer oder ein Tablet zum Steuern (Müll, Ressourcen, Geld), sondern auch Strom (Ressourcen, Geld – und was ist eigentlich, wenn der Strom ausfällt? Die Freie Presse zitiert den Leiter einer Grundschule mit dem Satz „Kreide gibt es bei uns schon seit Jahren nicht mehr.“ Ist das gut?).
  • Lehrerinnen und Lehrer benötigen, um mit Smartboards arbeiten zu können, eine Weiterbildung – Zeit, die sie vielleicht für andere Aufgaben gebrauchen könnten.
  • Elektronik ist immer auch störanfällig. Es handelt sich bei einem Smartboard um hochkomplexe Technik, die man nicht nur beherrschen muss, sondern die zwangsläufig irgendwann Schwierigkeiten bereitet (siehe die Sache mit den Updates). Möchte man den Unterricht der Kinder wirklich von einem solchen Gerät abhängig machen?
  • Teuer ist das natürlich auch. Nach obiger Rechnung kostet ein Board 9.000 Euro. Zum Vergleich: eine herkömmliche Klappschiebetafel mit 25 Jahren Garantie auf die Schreiboberfläche kostet 1.265 Euro. Schön, wenn jemand die Kosten übernimmt – aber wie lange wird der Bund das tun, Digitalpakt um Digitalpakt auflegen, bei angespannter Haushaltslage? Der Digitalpakt Schule 2.0 geht jedenfalls erstmal nur bis 2030.

Hier hat sich Chemnitz meiner Meinung nach ein Problem gekauft. Oder besser gesagt: 2.000.

Natürlich ist das nicht nur in Chemnitz ein Thema, sondern in vielen Städten. Es geht auch nicht per se um Smartboards, Tablets und Digitalisierung in der Schule; ich habe hier nur willkürlich ein Thema herausgegriffen, das mir über den Weg gelaufen ist. Ähnliche Beispiele finden sich überall in unserem Leben: digitale Werbeanzeigen (statt eines normalen Posters), E-Bikes (statt Fahrrad), Smart-Home-Systeme (statt selber das Licht anzuschalten), Geschäfte, in denen man nur noch mit Karte (und nicht mehr mit Bargeld) zahlen kann, per Handyapp gesteuerte Tassenwärmer (statt Stövchen, Thermoskanne oder zügigen Trinkens), komplizierte Elektronik im Auto statt leichtverständliche Mechanik, batteriebetriebene Grablichter.

Das Grundproblem ist, dass wir uns zunehmend von einfachen, prima funktionierenden, kostengünstigen, haltbaren, abfall-, ressourcen- und energiearmen Lösungen (zum Beispiel Kreidetafeln) verabschieden und uns stattdessen Verpflichtungen aufbürden, die umständlich, teuer und ökologische Katastrophen sind.

Gute Kaufentscheidungen treffen

Steht eine Kaufentscheidung an – ob nun privat oder in der öffentlichen Beschaffung –, lohnt es sich daher immer, das Produkt nicht nur vom Anfang, sondern auch von der Mitte und vom Ende seines Lebenszyklus her zu betrachten und zu fragen:

  • Wie lange wird das Produkt halten?
  • Ist es reparierbar, sind Ersatzteile erhältlich, kann ich es eventuell sogar selbst reparieren?
  • Habe ich Lust, Zeit und Geld, mich um ein komplexes Produkt zu kümmern?
  • Welche laufenden Kosten verursacht das Produkt?
  • Welche Konsequenzen hat es für mich, wenn das Produkt vorübergehend oder dauerhaft nicht funktioniert?
  • Gibt es bereits ein Produkt, das den Zweck in ähnlicher Weise erfüllt, ohne einen Sack Probleme mit sich zu bringen?
  • Würde ich das Produkt auch kaufen, wenn es nicht subventioniert/fremdfinanziert wäre?

Don’t buy a problem!

Link zum zitierten Artikel (Paywall): https://www.freiepresse.de/chemnitz/chemnitzer-schulen-setzen-auf-interaktive-tafeln-doch-das-hat-seinen-preis-artikel13636086?ref=regmail

Susan Rößner, Januar 2025. Dieser Artikel wurde ohne Zuhilfenahme von KI erstellt.

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